Geboren am 15.04.1901
- hausverstand
- 15. Apr. 2017
- 5 Min. Lesezeit
Sie wurde am 15. April 1901 geboren, hat beide großen Kriege bewusst miterlebt! War selbstständig, Mutter einer Tochter, Großmutter eines Enkels und Urgroßmutter zweier Urenkel. Sie musste damals von Böhmisch-Röhren flüchten und wurde für 1 Jahr von den Nazis eingesperrt.

Ich möchte heute meine gütige, geliebte Urgroßmutter Katharina Sch. mit diesen Zeilen zu ihrem 116. Geburtstag ehren. Nicht nur für all das erlebte, sondern auch für ihr Sein auf der Erde, als meine Urgroßmutter die mir tagtäglich noch als Vorbild gilt. Sie war ein ganz besonderer Mensch und ist immer noch mein einziges Beispiel von allen Menschen, wie man das Leben leben/nehmen sollte und dies über ein gesamtes Leben hinweg. Genau genommen lebte sie dieses Leben über 99 Jahre! Ein paar Monate vor ihrem 100.sten Geburtstag verstarb sie rüstig und absolut klar im Geist durch einen Treppensturz! Aus diesem Grunde möchte ich hier über ein paar Anekdoten schreiben die ich mit ihr erlebt hatte und für den einen oder anderen Leser vielleicht auch interessant sind! Als Kinder verbrachten mein Bruder und ich immer unsere Ferien im 150 km entfernten Deggendorf in Niederbayern bei unseren Großeltern. Da meine Urgroßmutter im Hause wohnte und wir bei ihr schliefen, hatten wir sehr viel Kontakt zu ihr. Als ich älter wurde, erzählte sie mir keine spannenden, mitreissenden Märchen mehr, sondern in langen Abenden viel aus ihrem Leben. Dies fand ich, da ich sehr behütet aufgewachsen war besonders spannend. Sie sprach von ihrer 65 km langen Flucht von Bömisch-Röhren, das heutige České Žleby in der Tschechei, nach Passau in Niederbayern bis zu den aktuellen Situationen in ihrem Leben. Besonders von ihren Geschichten ist mir ihre Verhaftung in Erinnerung geblieben. Damals, es war im Jahr ´43 oder ´44, das wusste sie nicht mehr so genau, stand sie an einem Bahnsteig in Passau und unterhielt sich mit einem Nachbarn als ein Zeitungsjunge voller Inbrunst die tägliche Propaganda Schlagzeile brüllte. Zu diesem Nachbarn sagte sie nur: „Den Krieg haben wir eh schon verloren!“ mehr nicht. Noch am gleichen Tag kamen Polizisten und verhafteten sie. In einer „Blitzverhandlung“ wurde sie zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt und musste diese Zeit voll absitzen. Allerdings hatte sie es im Vergleich zu den anderen Gefangenen gut, da sie als Schneidermeisterin mit eigener Schneiderei (15 Angestellte) „abgestellt“ wurde um der Gattin des Gefängnisdirektors neue Kleider zu nähen. Sie wurde gut behandelt und musste nur über Nacht in ihre Zelle. Was in diesem Gefängnis sonst noch geschah hatte sie nur kurz angeschnitten aber nie ausführlich darüber gesprochen. Bis zu ihrem Lebensende äußerte sie sich nicht mehr in der Öffentlichkeit über ihre politische Meinung. In den letzten Tagen des Krieges und danach musste sie die meiste Zeit aufbringen um am Schwarzmarkt ihre genähten Kleidungsstücke gegen Essen zu tauschen um ihre Tochter und den kleinen Enkel (mein Vater) zu ernähren. Bis ins hohe Alter konnte die das feilschen, wenn sie etwas privat kaufte, nicht lassen! Sie als mein großes Vorbild, sprach niemals ein schlechtes Wort über andere Menschen, ganz im Gegenteil, sie versuchte immer das positive zu sehen. Gab es für sie nichts positives, dann sprach sie kein Wort über diese Person. Ihre Tochter, meine Großmutter war das Gegenteil. Sie hatte über alles und jeden etwas auszusetzen. Wenn ich oft den Gesprächen zuhörte als meine Großmutter wieder „Storys“ über die Frau X meiner Urgroßmutter zum Besten gab, sagte meine Urgroßmutter nur immer:“Ja mei´ sie is hoid so!“ mehr nicht. Sie hörte nur wertfrei zu! Niemals hörte ich wie sie etwas negatives über eine andere Person sagte! Sie nahm jeden Menschen wie er war, ohne wenn und aber! Allem Modernen war sie auch völlig positiv eingestellt und hatte bis zu ihrem Lebensende meine Schilderungen aufmerksam verfolgt und auch immer wieder nachgefragt wenn sie etwas nicht verstanden hatte! Man spürte ihr Interesse an meinem Leben Und doch gab es ein Thema, das einzige was sie regelrecht in Zorn versetzte! Bei diesem Thema, keimte der Zorn in ihr auf und sie wurde regelrecht zu einem Stier in Angriffsposition mit scharrenden Beinen. Wenn Kinder von der Mutter/Vater usw. geschlagen wurden, was zu meiner Zeit noch normal war, verkniff sie die Lippen, bekam einen unbeschreiblichen Ausdruck im Gesicht und ging in schnellen Schritten auf die Mutter zu. Lautstark sprach sie mit der betreffenden Person, was sie doch für eine Rabenmutter sei. Dies machte sie mit solcher Inbrunst, dass ihr die Person gegenüber keine Antwort gab und sie niemals mit meiner Großmutter zu streiten begannen. Ich kann mich noch gut erinnern als wir alle gemeinsam in Caorle (wo sonst :)) im Urlaub waren. Ich war damals 5- oder 6- Jahre alt und ging mit meiner Großmutter die Straße entlang zum Strand als wir plötzlich eine Frau schreien hörten, ein paar Klatscher einer Watschn und das Kind „flüchtete“ auf den kleinen Balkon zur Straße. Meine Großmutter blieb stehen, sah nach oben, verkniff die Lippen, überquerte mit mir an der Hand die wenig befahrene Straße und läutete an dem blassgelben Mehrfamilien Haus. Als uns geöffnet wurde und wir in den 2. Stock (oder 3. Stock) gingen, hörte man wieder diese Frau mit ihrem Kind schreien. Ohne zu zögern läutete meine Großmutter an und als die Frau die Türe öffnete, begann sie: “Was fällt ihnen ein ihr Kind zu schlagen! Sie sind eine Rabenmutter und wenn ich dies nochmals sehe oder höre das sie ihr Kind schlagen, dann komm ich nochmal rauf zu ihnen und dann kann ihnen niemand mehr helfen... !“ Diese Frau sprach kein Wort deutsch und sah sie nur mit großen Augen und offenem Mund verwundert an. Die dachte sich was diese hysterische Alte vor ihrer Türe wohl wollte. Sie machte die Türe einfach zu und das wars dann. Ich sehe die Situation noch heute wie ich mit ihr an der Hand dieses Stiegenhaus hinauf gehe. Ja sie hatte Courage und ist unerbittlich für ihre Sicht der Dinge eingetreten! Solche Situationen hatte ich noch 2-3 mal erlebt. Nur nicht mehr so heftig! Es war das einzige Thema mit absolut Null Toleranz! Auch meinen Bruder und mich verteidigte sie immer vor unserer Mutter, was es ihr sehr schwer machte uns im Beisein unserer Großmutter zu schimpfen, was wir natürlich jede Sekunde ausnutzten. Wenn unsere Großmutter zu Besuch war und unsere Mutter begann zu schimpfen, gingen wir nur ins Wohnzimmer wo meine Großmutter saß und schon wollte/durfte meine Mutter nicht mehr schimpfen. Wir haben nie begriffen, dass wir dann im Nachhinein unsere Strafe bekamen. Wie man merkt, hatte auch meine resolute Mutter keine Lust sich mit meiner Großmutter anzulegen. Als ich älter wurde besuchte ich sie so oft es ging und freute mich immer wie damals sie wieder zu sehen. Sie war und ist immer noch mein großes Vorbild, wie man mit wenig auskommt und trotzdem ein reiches, erfülltes, glückliches und zufriedenes Leben leben kann. Auch ihre Sichtweise über die anderen Menschen, diese Wertfrei annehmen und in allen Menschen nur die Guten Seiten zu sehen, ist eine Aufgabe die ich immer noch täglich versuche ihr nachzuleben! Sie fehlt mir, als Großmutter, als Gesprächspartner und als lebendes Vorbild! Es vergeht kein Tag an dem ich nicht an sie denken muss! Noch heute spüre ich ihre Energie wie sie bei mir ist und jetzt da ich diese Zeilen schreibe um so mehr!
Die Alten ehre stets, du bleibst nicht ewig Kind. Sie waren, wie du bist, und du wirst sein, was sie sind.
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